Luthers Wirtschaftsethik

Produktinformationen "Luthers Wirtschaftsethik"
Fragen der Wirtschaftsethik haben Konjunktur. Angesichts der Entwicklungen rund um die 2008 zum Ausbruch gekommene Wirtschafts- und Finanzmarktkrise sind viele lange gepflegte Denkmuster im Wirtschaftsleben fragwürdig geworden. Gerade auch aus den Reihen der Akteure im Wirtschafts- und Finanzbereich wird nach Orientierung gesucht. Wer die möglichen Quellen der Orientierung in den Blick nimmt, kommt an den aus der Wurzel des Judentums kommenden Traditionen des Christentums nicht vorbei. Der Reichtum dieser Traditionen, der von den biblischen Quellen über markante Positionen der Kirchen- und Theologiegeschichte bis in die Gegenwart reicht, ist bei weitem noch nicht ausgeschöpft, wenn es um die Orientierung für heute geht. Besonders erstaunlich ist das damit verbundene Wahrnehmungsdefizit im Hinblick auf die Wirtschaftsethik Martin Luthers. Ganze Bibliotheken sind geschrieben worden über Luthers Gedanken zu Gesetz und Evangelium, zur Rechtfertigungslehre und zur Zwei-Regimenten-Lehre. Und das ist auch gut so. Dass Martin Luther auch ein profilierter Wirtschaftsethiker war, ist vielen gar nicht bekannt. Und seine markanten und mitunter sehr leidenschaftlichen Schriften zu diesem Thema sind wenig beachtet geblieben und auch in der Lutherforschung lange viel zu wenig wahrgenommen worden. Als ich im Jahr 1984 als Student in Berkeley/USA eine Seminararbeit zu „Martin Luther‘s Ethics of Economics“ schrieb, stellte sich heraus, dass eine der wichtigsten Schriften Luthers dazu die „Vermahnung an die Pfarrherrn, wider den Wucher zu predigen“ von 1540, in keine der großen Luther-Ausgaben aufgenommen worden war und auch sonst auf Englisch nicht erhältlich war. Die Vermutung lag nahe, dass im Vorzeigeland des Kapitalismus die markanten, anti-kapitalistischen Thesen Luthers entweder nicht salonfähig erschienen oder aber zumindest nicht als bedeutend genug gesehen wurden, um allgemein zugänglich gemacht zu werden. Als Student hatte ich auf ein Buch wie das von Hans-Jürgen Prien gewartet. Als es 1992 erschien, gehörte es zu den ganz wenigen Büchern über Luthers Wirtschaftsethik und war das einzige, das wirklich den Versuch unternahm, zwar einerseits die zeitliche Distanz zwischen den Aussagen Luthers in der Zeit des Frühkapitalismus zu heute wahrzunehmen, aber andererseits trotzdem den Orientierungswert seiner Aussagen für den Umgang mit den inneren Widersprüchen und Verwerfungen des Wirtschaftslebens heute zu erkunden. Man wird sagen müssen, dass Priens Buch nichts von seiner Aktualität verloren hat. Im Gegenteil: Die Orientierungsprobleme haben zugenommen. Wie Luthers Gedanken uns helfen können, sie zu bewältigen, ist eine Frage, die uns heute neu beschäftigt. Bemerkenswerterweise haben Luthers Aussagen zur Wirtschaftsethik inzwischen auch den Weg in EKD-Denkschriften gefunden. In der Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in Evangelischer Perspektive“ aus dem Jahr 2008 heißt es in Ziffer 90: „Schon 1524 hat Martin Luther an unverhältnismäßigem Einkommen Anstoß genommen. Mit Blick auf die in kürzester Zeit zu Reichtum gekommenen Unternehmer des Frühkapitalismus stellt er fest: 'Wie sollt das immer mögen göttlich und recht zugehen, dass ein Mann in so kurzer Zeit so reich werde, dass er Könige und Kaiser aufkaufen möchte?'“. Luthers wirtschaftspolitische Vorschläge können uns heute nicht mehr als Vorlage dienen. Sie stammen aus dem Denkhorizont des Feudalismus und kritisieren von diesem Denkhorizont her den aufkommenden Kapitalismus. Die dahinter liegenden moralischen Intuitionen und biblischen Orientierungen gelten heute aber genauso wie damals. Ihr impliziter und zuweilen auch expliziter Bezugspunkt ist die biblische Option für die Armen. Wenn Luther in „Kaufshandlung und Wucher“ (1524) die Preisbildung durch das Gesetz von Angebot und Nachfrage kritisiert und für den gerechten Preis plädiert, dann steht dahinter die Sorge, dass die wirtschaftlich Starken die Notsituation der Schwachen ausnutzen und sich dadurch Vorteile verschaffen. Wenn Luther die Handelspraktiken der „Handelsgesellschaften“, der multinationalen Konzerne von damals, aufs Korn nimmt und Monopolbildung und Spekulation angreift, dann leitet ihn dabei die Parteinahme für die Armen, die für ihn sowohl ein biblisches Gebot als auch ein Gebot der Vernunft ist. Hans-Jürgen Prien führt uns in seinem Buch auf solche Spuren. Das Buch ist eine Fundgrube für eine lutherische Ethik, die zugleich traditionsbewusst und zeitzugewandt mit Dietrich Bonhoeffer die Frage stellt: “Wer ist Christus für uns heute?“ Ich wünsche der Neuauflage dieses Buches viele Leserinnen und Leser! Heinrich Bedford-Strohm, München 11.9.2012